Sonntag, 7. November 2010
El pinguino y el viaje en Noviembre...
„El pinguino“ ist tot. Argentiniens ehemaliger Präsident Nestor Kirchner ist am Mittwochmorgen plötzlich an Herzversagen gestorben. Alle Sender berichten live und zeigen Bilder von Menschen, die sich vor Kirchners Haus in „El Kalafate“ in „Tierra del Fuego“ („Feuerland“) versammeln oder von wichtigen Persönlichkeiten der Politik, die sich von Buenos Aires aus auf den Weg in den Süden machen, um dort mit der Familie zu trauern. Nach Kirchner ist eine ganze Ära benannt. Er war Präsident zu Zeiten der schweren landesinternen Wirtschaftskrise, die Argentinien Anfang dieses Jahrtausends zu bewältigen hatte. Seine Nachfolgerin im Amt ist ebenfalls „eine Kirchner“ – seine Frau. Der 60-Jährige sollte eigentlich bei den nächsten Präsidentschaftswahlen wieder antreten. Zigtausende haben sich in Buenos Aires und in anderen großen Städten auf den Plätzen versammelt. Ob das in Deutschland auch so wäre? Ich glaube nicht in dem Maße.
Auch ohne dieses Ereignis war der Mittwoch ein besonderer Tag – die Argentinier zählen sich. „Cesur“ oder „Volkszählung“ steht an. Wenn ich es richtig mitbekommen habe, ist es noch gar nicht allzu lange her, dass das auch in Deutschland passieren sollte. Datenschützer haben dies, wenn ich mich richtig entsinne, bis jetzt verhindert. Hier in Argentinien ist es ganz normal, keiner regt sich darüber auf und so sind 650.000 Menschen unterwegs, um jedem Argentinier einen Besuch staatlicher Seite abzustatten und jeden zu registrieren. „Jedes Jahr sind wir ein paar mehr“, hat Patri dazu gesagt. Ich habe ihr dann kurz versucht zu erklären, dass es in Deutschland genau umgekehrt der Fall ist. Geburtenrückgang scheint hier (noch?) kein Thema zu sein. Wie dem auch sei - Schulen, Kindergärten, Geschäfte, Bars und Supermärkte hatten dicht. Dementsprechend war hier im Heim wieder „Full House“. Alle Kinder sind den ganzen Tag über hier gewesen und wollten beschäftigt und bespaßt werden. Gegen Nachmittag kamen zwei Frauen vorbei, die „gezählt“ haben. Alle Freiwilligen wurden ebenfalls mitgezählt. Ich musste meinen vollen Namen und mein Geburtsdatum angeben. Wenn also demnächst die offizielle Einwohnerzahl Argentiniens verkündet wird bin ich einer der wahrscheinlich gut 42 Millionen.
Was gibt es sonst so Neues? Mein erster Urlaub rückt näher und die Planung ist so gut wie abgeschlossen! Patri hat uns nahegelegt, nach spätestens drei Monaten wenigstens für ein paar Tage Urlaub zu nehmen. Tina, Leon und ich werden allerdings mehr als nur „ein paar Tage“ reisen. Drei Länder, zwei Hauptstädte und grob geschätzte 6000 Kilometer werde ich in 16 Tagen zurücklegen – für lateinamerikanische Verhältnisse nichts wirklich Ungewöhnliches. Am 17. November soll es abends losgehen. Tina und ich werden den Nachtbus in Richtung Buenos Aires nehmen. Um 22.30 Uhr fährt der von Cruz del Eje ab und kommt, wenn alles gut geht, am nächsten morgen gegen zehn Uhr morgens in „la Capitál“ (bzw. „der Hauptstadt“) an. Vier Tage lang bleiben uns beiden dann, um die Stadt des Tangos, der Steaks und der vielen europäischen Einwanderer unsicher zu machen. Am 22. November überqueren wir dann mit einer Schnellfähre den „Rio de la Plata“ („Fluss des Silbers“), um in die sogenannte „Schweiz Südamerikas“ zu gelangen. „Rio de la Plata“ war übrigens ein zu optimistisch gedachter Name der spanischen „Conquistadores“ („Eroberer“), denn es ist kein einziger Silberfund im breiten Fluss zwischen Argentinien und dem „kleinen Bruder“ Uruguay dokumentiert. Uruguay, das kleine Land zwischen Brasilien und Argentinien, und genauer gesagt die Hauptstadt Montevideo, ist unser zweites Ziel. Dort werden wir Gina besuchen - eine Freiwillige aus Braunschweig, die Tina und ich vom Vorbereitungsseminar kennen. Zwei Nächte später werde ich dann ein etwas schnelleres Fortbewegungsmittel besteigen. Die 6000 Kilometer nur mit Bus und Schiff wären mir dann doch, glaube ich, zu anstrengend. Mit dem Flieger soll es für mich es rund 1700 Kilometer gen Norden gehen – in die fünftgrößte Stadt der Welt. Benannt nach dem heiligen Paulus hat die Metropole ungefähr so viele Einwohner wie Australien. Allerdings leben hier 2500 Einwohner auf einem Quadratkilometer. In Australien sind es drei. Gesprochen wird in der Stadt kein Spanisch mehr, sondern Portugiesisch. São Paulo heißt Destination Nummer drei. Tina wird mich hierher nicht mehr begleiten, sondern noch länger in Montevideo bleiben. Alleine werde ich in Brasilien allerdings nicht unterwegs sein. Ich werde João in seiner Heimat besuchen. Ich kenne ihn seit August aus dem deutschen Lions Camp „Siebengebirge“. Er wohnt nicht direkt in São Paulo, sondern in Marilia – gute fünf Stunden Busfahrt und 440 km außerhalb, aber immer noch im Bundesstaat São Paulo und auch noch (für lateinamerikanische Verhältnisse) „in der Nähe“ von São Paulo. Zum Vergleich: Das wäre ungefähr so, als würde ich als Münsteraner behaupten, ich wohnte „in der Nähe“ von Stuttgart, Berlin oder Flensburg. Am 3. Dezember geht es dann wieder zurück nach San Marcos Sierras. Mit einer Zwischenlandung in Montevideo fliege ich von São Paulo bis Córdoba und von da aus werde ich mit Julio und Patri, die an dem Abend in Córdoba sein werden, die restlichen 150 Kilometer (drei Stunden Autofahrt) nach San Marcos Sierras zurücklegen.
Ein wenig abenteuerlich war bereits die Ticketbuchung für den Bus nach Buenos Aires. Im Internet haben wir herausbekommen, dass es auch hier in San Marcos einen offiziellen Ticketverkauf des Busunternehmens gibt. Das Schild auf der Hauptstraße im Haus neben dem „Pinto“ (dem kleinen „Supermarkt“ – manche Tankstellen in Deutschland haben mehr Verkaufsfläche) war mir vorher schon einmal aufgefallen, nur sieht das Haus, vor dem es steht, so gar nicht nach Reisebüro oder Ticketagentur aus, sondern wie ein ganz normales Wohnhaus. Geht man ein bisschen näher zur Haustür, sieht man ein Schild mit den Öffnungszeiten. Das ist schon etwas Besonderes hier. Die allermeisten Läden haben keine festgelegten Öffnungszeiten, sondern Öffnen und Schließen mehr oder weniger „nach Gutdünken“. Gleich neben der Haustür waren gleich zwei Dinge, die Tinas Aufmerksamkeit auf sich zogen. Aus einem Käfig begrüßte uns ein großer Papagei. Tina war gleich hin und weg und als der Vogel ihr dann noch die Kralle entgegenstreckte, war alles vorbei. Das Honigkuchenpferdgrinsen verschwand allerdings für einen Moment, als die Kralle Tinas Finger ein bisschen fester gekratzt hat. Direkt daneben war ein kleiner Teller, auf dem eine Plastikblume stand. Wofür das Ganze gut war, konnten wir ein paar Minuten später beobachten. Der Teller war mit einer Flüssigkeit gefüllt und lockte eine spezielle Vogelart an – Kolibris. Die kleinste Vogelart der Welt sieht in Natura ziemlich beeindruckend aus. Die Flügel bewegen sich wirklich so schnell, dass man sie nur erahnen kann. Ein paar Augenblicke später reihten sich gleich vier der kleinen Vögel um den Teller und schlürften den Nektarersatz. Zurück zum eigentlichen Thema: Der Ticketkauf für den Bus nach Buenos Aires. Am Papageikäfig und dem Kolibrinapf vorbei ging es durch die Haustür, die offen stand. Wo fanden wir uns dann wieder? In der Küche eines alten Mannes. Klingt komisch, ist aber so. Auf dem Küchentisch habe ich etwas entdeckt, was ich hier im Dorf sonst noch gar nicht während der letzten zwei Monate gesehen habe – Tageszeitungen! Was in Deutschland an jedem Kiosk ganz selbstverständlich verkauft wird, gibt es hier normalerweise in den größeren Städten an „Zeitungsbuden“ an Straßenkreuzungen oder in Fußgängerzonen, aber eben meistens nicht im Kiosk. Die nationalen Zeitungen hatten alle ein großes Bild Kirchners auf der Titelseite und „la Voz“, die ich mir gekauft und überflogen habe, hatte gar ein ganzes Sonderheft und alle Nachrichtenseiten waren voll mit Details zu Kirchner, dessen Karriere, Krankheitsverlauf, Reaktionen auf seinen Tod. Lediglich die Volkszählung war in einer Ecke kurz vermerkt. Wichtigstes Detail der Meldung? Die Zählung verspätet sich aufgrund des Todes von Kirchner um circa zwei Stunden.
Neben den Zeitungen begrüßte uns der alte Mann. Ich fragte, ob ich hier Bustickets nach Buenos Aires bekommen könnte. „Ja“, antwortete er und fing gleich an, die Zeiten und Unterschiede zwischen den Bussen aufzuzählen. 17. November, 22.30 Uhr, zwei Personen. Eigentlich ganz einfach. Vor- und Nachnamen, sowie unsere Passnummer mussten wir angeben. Meine kann ich mittlerweile auswendig, weil ich die im Zusammenhang mit der Reise andauernd angeben musste. Flugbuchung, Fährreservierung, selbst wenn man mit der Kreditkarte im Supermarkt oder sonst wo bezahlt, muss man seine Passnummer angeben und sich ausweisen können. Ein Telefonat später war klar, dass Tina und ich Plätze 37 und 38 bekommen würden – unten in einem zweistöckigen Bus. Handschriftlich wurden dann sehr penibel von dem alten Mann die Tickets ausgefüllt. Nix Computer, nix EC-Karten-Zahlung, nix Automat. Hier macht man das alles noch per Hand. Hat auch etwas für sich. 236 Pesos kostet die knapp 900 Kilometer und knapp zwölf Stunden lange Fahrt im Liegewagen. Das sind nach aktuellem Umrechnungskurs circa 43 Euro. Vor zwei Monaten wären es noch über 50 Euro gewesen. Wir profitieren im Moment vom schwachen US-Dollar bzw. starken Euro, da der Peso an den US-Dollar gekoppelt ist. Geht es den USA wirtschaftlich nicht so besonders, den Europäern aber schon, dann bekommen wir hier mehr für unser Geld.
Sandrino, Sohn von Adrian und Roxana, ist am Samstag eins geworden. Große Feier und Kinderlieder in Dauerschleife waren angesagt. Lecker (und viel) Essen gab es natürlich auch wieder. Besonders war allerdings das Mittagessen am nächsten Tag. Adrians Familie war angereist und die haben eine Art „Tradition“. Sie essen, wenn ich es richtig verstanden habe, ein Mal im Jahr Schaf. Ein paar Tage vorher war die Gefriertruhe voll. Das Schaf als Ganzes nimmt halt schon Einiges an Platz weg. Tina hat sich bei dem Anblick schon geekelt. Viel interessanter wurde es aber, als das Tier dann gegessen wurde. Hier wird nämlich so ziemlich alles verwertet. Der Kopf ging an die Kinder, die sich mit Gabeln bewaffnet daraufstürzten. „Ich will das linke Auge!“ – „Dann nehm ich das rechte!“. So ungefähr ging das ab. Endgültig vorbei war es für Tina dann, als die Kinder ihr den Kiefer des Schafes ins Gesicht hielten und dann auf dem Teller vor ihr ablegten. Als Vegetarierin nach Argentinien… ich kann mir wirklich Einfacheres vorstellen.
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